Die alte Synagoge in Görlitz

Das griechische Wort „Synagoge“ und der hebräische Ausdruck „Beth Haknesset“ bedeuten soviel wie „Haus der Versammlung“ oder „Haus der Zusammenkunft“. Ein solches Versammlungshaus hatten die Juden in Görlitz schon im Mittelalter. Nach der großen Pest von 1348/49 vertrieb man sie aus der Stadt und für etwa 500 Jahre gab es keine jüdische Gemeinde, die in einer Synagoge zusammenkam. Die erste nachmittelalterliche Synagoge errichtete die im Jahr 1847 unter dem Einfluss der Gesetzgebung des preußischen Königs emanzipierte jüdische Gemeinde in einem Gebäude im Hinterhof des Hotels „Weißes Roß“ am Obermarkt 17. Am 20.9.1853 wurde das Gotteshaus bezogen. Der Zugang erfolgte über die Langenstraße 23, durch den Schulgarten der 1846 errichteten Bürgerschule. Das umgebaute Hinterhaus am Obermarkt 17 war zuvor ein Gesellschaftstheater gewesen, das möglicherweise mit der Eröffnung des Stadttheaters 1850 nicht mehr rentabel war. Antje Coburger M.A.

Aufbau einer klassischen Synagoge

Eine klassische Synagoge ist im Inneren in zwei Teile gegliedert, da Männer und Frauen getrennt am Gottesdienst teilnahmen. Während sich die Männer im großen Gebetsraum versammeln, werden die Frauen auf Galerien und Emporen untergebracht, oftmals noch durch Sichtschutz vom Geschehen im großen Saal abgeschirmt. In der Mitte des Raumes steht die Bima, ein Podest von welchem die Texte der Thora vorgelesen werden. Die Thora ist die Gesetzesrolle des jüdischen Glaubens mit den fünf Büchern Moses, die in der Bibel den ersten Teil des Alten Testaments bilden. Die Thora wird in einem Schrein aufbewahrt, der sich an der Ostwand des Gebäudes befindet und in Form einer in die Wand eingelassenen Nische oder als davor gestellter Schrank auftreten kann. Symbolisch lehnt sich die Aufbewahrung der Thorarolle an die in der heiligen Bundeslade liegenden steinernen Gesetzestafeln mit den zehn Geboten im Tempel von Jerusalem an. Vor dem Thoraschrein befindet sich noch ein Bet- oder Lesepult. Die Sitzbänke der Männer können entweder alle nach Osten ausgerichtet sein, oder sie werden um das Podest in der Mitte des Gebetsraumes gruppiert. Antje Coburger M.A.

Der deutsche Synagogenbaustil im 19. Jh.

Im deutschen Raum wurden kleinstädtische oder ländliche Synagogen im 17. und 18. Jahrhundert fast ausschließlich versteckt in Hinterhöfen errichtet. Jüdische Gotteshäuser, die eine repräsentative Schauseite an einer Straße gelegen hatten, oder gar freistehende Bauten waren erst im 19. Jahrhundert möglich. Um 1850 war der sogenannte Rundbogenstil, ein in der Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem in Deutschland verwendeter Architekturstil, für den Bau von kleineren Synagogen vorherrschend. Mit dem Begriff Rundbogenstil bezeichnet man eine Erscheinungsform des deutschen Historismus, die ausgehend von dem Architekten Karl Friedrich Schinkel durch die Verwendung des Rundbogenmotivs und Elementen aus der Romanik, der italienischen Renaissance sowie der byzantinischen und frühchristlichen Epochen charakterisiert wird. Bedeutende Beispiele dieses Stils sind etwa die Heilandskirche von 1841-44 und die Friedenskirche von 1845-48 in Potsdam. Im Görlitzer Stadtbild fallen als Beispiele des Rundbogenstils besonders die Jägerkaserne, das Ständehaus und die Hl.-Kreuz-Kirche in der Struvestraße auf. Antje Coburger M.A.

Ursprüngliche Innenraumgestaltung

Aus dem Schriftverkehr in den überlieferten Akten gehen viele aufschlussreiche Details über das Aussehen der alten Synagoge in Görlitz hervor, die heute nicht mehr sichtbar sind, aber helfen können, sich ein genaueres Bild von der Gestalt des damals genutzten Gotteshauses zu machen. Für die Ausgestaltung der Fassade an der Langenstraße setzte sich der in Deutschland zu dieser Zeit verbreitete Rundbogenstil beim Umbau von 1869 gegen andere Entwürfe durch, wie aus der Bauzeichnung zu entnehmen ist. Noch heute sichtbar ist die schlichte genutete Putzausführung mit Rundbogenfenstern, Lisenen und einem Kleeblattfries unterhalb der Giebelkante entsprechend der Zeichnung von Maurermeister Rudolph Sahr vom 31.3.1869. Aus der im Stadtarchiv Görlitz lagernden Korrespondenz des Gemeindevorstandes mit den verschiedensten Handwerksbetrieben, geht hervor, welche Ideen zur Gestaltung des Innenraums damals diskutiert wurden. Aus den abgeschlossenen Verträgen lässt sich ableiten, wessen Konzept schließlich verwirklicht wurde. Über dem Eingang der Synagoge sollte eine Aufschrift in goldenen Buchstaben ausgeführt werden, wofür der Vorstand 25 Taler bewilligt hatte. Dafür wandte man sich am 25.6.1869 an die Firma Koch & Bein aus Berlin, mit einer Anfrage bezüglich vergoldeter, kantiger Buchstaben für eine Aufschrift an der Fassade zur Langenstraße. Koch & Bein übernahm den Auftrag und bat um exakte Größenangaben sowie eine Vorlage mit genauem Schriftbild, damit bei der Herstellung der hebräischen Buchstaben keine Fehler entstünden. Malermeister H. Linck veranschlagte am 11.6.1869 für die Ausmalung von Wänden und Decke des Saals mit Leimfarbe 160 Taler. Dabei sollte die Decke genau so gestaltet werden, „wie die auf dem hiesigen Bahnhofe in dem Warte-Saal I. und II. Klasse befindliche Decke". Die Wände dagegen würden marmoriert und in Felder geteilt. Am 22.6.1869 hat der Vorstand beschlossen die Malerarbeiten von H. Linck ausführen zu lassen. In dieser Vorstandssitzung wurde außerdem beschlossen, die Anfertigung und Aufstellung von zwei Pulten und 20 Bänken mit je acht Sitzen zum Ausklappen Tischlermeister G. Weidler zu übertragen, der sie bis zum 2.8.1869 herstellen sollte. Der Gebetsraum der Männer verfügte somit über 160 Sitzplätze. Mit weiteren Schreinerarbeiten, wie zum Beispiel der Anfertigung eines hölzernen Gitters vor dem Thoraschrein, einem Baldachin darüber und der Herstellung des Schreins selbst wurden verschiedene Handwerksmeister betraut. Für die Beleuchtung aller Räume sollten Gasleitungen nach dem Kostenvoranschlag und der Zeichnung von H. Petzsch verlegt werden. Beleuchtet wurde der Saal dann von einem großen Kronleuchter mit zwei Etagen zu jeweils 24 und 32 Flammen und vier kleinen sechsarmigen Leuchtern mit jeweils drei Flammen. Wenig später schickte der Vorstand der Synagogengemeinde eine Entwurfsskizze für einen Vorhang, der vor dem Thoraschrein angebracht werden sollte, zur Stickerei-Tapisserie-Manufaktur J.A. Hietel nach Leipzig.Diese schickte einen gedruckten Musterentwurf zurück und bat den Vorstand sich den Samt, der zur Herstellung des Vorhangs verwendet werden sollte, auszusuchen. Zusätzlich zur Skizze gab der Vorstand am 16.7.1869 eine anschauliche Beschreibung: „die Aufschrift wie angegeben, die Säulen gewunden, die Sockel mit einem Stern und die Seiten des Vorhangs mit einer schönen reich verzierten Borte und Fransen versehen; die beiden Tafeln auf weißem Grunde mit den goldgestickten Buchstaben der 10 Gebote nach vorgeschriebener Ordnung ausführen; und die Basis unter den Löwen ganz so wie in Ihrer Zeichnung angedeutet; einen Überhang brauchen wir nicht und wenden sie dieses nicht geringe Einsparnis auf die Verschönerung des Vorhangs selbst an; wir bitten sehr, daß die Löwen und die Krone sowie die Säulen recht brillant schon ausfallen müßten; in der Krone wollen sie bunte Steine anbringen. " Diesen Vorstellungen entsprechend sollte der Vorhang bis zum 15.8.1869 fertig werden. Mit einem Festgottesdienst und der bisher größten Gemeindefeier wurde die umgebaute Synagoge am 23.1.1870 festlich eingeweiht.

Bis zur Fertigstellung der neuen Synagoge in der Otto-Müller-Straße im Jahre 1911 war das Gotteshaus an der Langenstraße Zentrum jüdischen Gemeindelebens in Görlitz. Das Gebäude wurde seit 1911 als Lagerraum genutzt, war aber in einem so schlechten Zustand, dass das Dach erst noch repariert werden musste, bevor die Theaterrequisiten des Stadttheaters für die kommenden zwei bis drei Jahre, die für den damaligen Umbau des Theaters veranschlagt wurden, eingelagert werden konnten. Im Jahr 1925 wurde eine provisorische Holzdecke und wenig später eine Massivdecke eingezogen. Der große Saal des ehemaligen Gottesdienstraumes war seitdem immer in zwei separate Räumlichkeiten getrennt. Im Erdgeschoss wurden Stellplätze für die Kraftfahrzeuge der Hotelgäste eingerichtet. Im Obergeschoss wurde die ehemalige Registratur von der Silberwaren-Ausbildungsstätte über einen separaten Eingang als Aufenthaltsraum genutzt. Der große Saal im Obergeschoss blieb in seinen ursprünglichen Flächenmaßen erhalten und wurde vom Theater als Malsaal für Bühnenbilder und Kulissen genutzt. Erst seit dem Frühjahr 2002 steht dieser Saal leer. Antje Coburger M.A.